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Auf der Suche nach dem neuen Paradigma

Unsere Berufskolleginnen und -kollegen in der Bankenwelt pflegen das Ritual, zum Jahreswechsel ihre Szenarien für die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr auszuarbeiten und aus ihnen abzuleiten, welche Anlageklasse welche Erträge abwerfen dürfte. Natürlich verfolgen wir ihre Abwägungen jeweils mit Interesse. Auch wir bauen unsere Anlagestrategien und die zu wählende kurzfristige Taktik auf ökonomischer Expertise auf. In diesem Jahr stellt sich ein Problem ein, welches auch die sehr Erfahrenen unter uns so noch selten erfahren haben: Die Prognosen unserer Partnerbanken ähneln einander wie ein Ei dem anderen – selbstverständlich gibt es weisse, gelbe, kleinere und grössere Eier, aber der optische Eindruck ist gleichwohl der eines Eis. Wir kommen gleich dazu, das Ei im übertragenen Sinn noch zu beschreiben; die Ähnlichkeit ist für sich genommen nämlich kein Problem. Letzteres liegt vielmehr in der Dissonanz zu unserer Wahrnehmung, dass wir uns in einer Phase des Umbruches befinden, wo diverse Gewissheiten der letzten drei Dekaden in Frage gestellt werden. Phasen des Umbruchs werden in der Rückschau nicht als «business as usual» beschrieben; aber dies ist genau das, was unsere Kolleginnen und Kollegen von den Strategieabteilungen unserer Partnerbanken im Grossen und Ganzen aussagen:

Die Weltwirtschaft dürfte nächstes Jahr moderat wachsen. Die USA stehen dabei besser da als der Rest der Welt. Die Teuerung, die sich in den USA und Europa hartnäckig oberhalb des erwünschten Niveaus hält, sollte sich weiter abschwächen und die Zinsen in diesen Währungsräumen sinken. Die Schweiz ist diesbezüglich voraus und hat bereits ein tiefes Zinsniveau. Die neue Regierung in den USA wird Zölle einführen, um den Aufbau heimischer Industrien zu ermöglichen. Sie wird Vorschriften abbauen und die Steuern senken. Das dürfte einen Investitionsboom auslösen.

Aus diesem Szenario lässt sich ableiten, dass die Aktien, und auch diejenigen des bereits sehr teuren US-Aktienmarktes, weiterhin gut rentieren werden, wenn auch weniger als 2024. Europäische und asiatische Aktien sind wesentlich billiger, aber ihren Wirtschaftsräumen fehlt die Dynamik. Das sinkende Zinsumfeld hilft aber auch diesen Beteiligungen, sodass eine positive Rendite erwartet wird. Anleihen in Europa und Amerika sind ein Kauf, Schweizer Anleihen hingegen nicht, da das Renditeniveau bereits zu tief ist. Gold profitiert weiterhin von den schnell wachsenden Staatsschulden und Realwerte wie Immobilien müssten ebenfalls durchaus attraktive Renditen abwerfen können.

Das ist grundsätzlich ein stimmiges Szenario und ein recht erfreuliches noch dazu. Wir können diesen Überlegungen auch weitgehend folgen. Worin sollten denn nun die Umbrüche bestehen, die wir sehen? Das Argument ist nicht in drei Sätzen zu fassen; wir versuchen, es so kurz wie möglich zu formulieren: Relativ oft wird auf die vom gewählten US-Präsidenten angedrohten Zölle verwiesen, die eine markante Abkehr vom neoliberalen Denken, inspiriert von den Nobelpreisträgern Milton Friedman und Friedrich von Hayek in den 1970er und 1980er Jahren, darstellen. Bridgewater Associates, ein Hedgefund, hat dafür den Begriff «Neuer Merkantilismus» geprägt: Vier Elemente seien typisch, nämlich dass der Staat die Wirtschaft orchestriert (im Gegensatz zum freien Markt), dass Handelsbilanzen als Determinante des nationalen Wohlstandes gehalten und gesteuert werden, dass Industriepolitik eine gewisse Autarkie gewährleisten soll und schliesslich dass grosse nationale Firmen vor Konkurrenz geschützt werden.[1] Zölle sind ein probates Mittel, diese wirtschaftspolitischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Allerdings blendet das Argument aus, dass gerade Ronald Reagan, der die Abkehr vom Staatsinterventionismus und die Zuwendung zum Neoliberalismus geradezu verkörperte, selbst sehr viele Zölle verhängt hat, z.B. auf japanische Autos.

Nein, die Zölle sind ein Symptom des Scheiterns eines Welthandelssystems, dass von Niall Ferguson, dem britischen Wirtschaftshistoriker, als «Chimerica», von Barry Eichengreen und anderen als «Bretton Woods II» bezeichnet wurde: Die USA konsumieren Güter, die in Fernost produziert werden, wo die Erträge dieses Handels wiederum in USD investiert werden. China wurde so zur Werkbank der Welt, die Chinesen entwickelten jedoch keine breit abgestützte Konsumgesellschaft, sondern sie bildeten grosse Ersparnisse, deren Verfügbarkeit die Zinsen im Westen senkten, aber auch zu einer Immobilienblase und obsoleter Infrastruktur in China führten. Die günstige Produktion in Fernost senkte strukturell die Preise im Westen und hegte die Lohnsteigerungen für Arbeitnehmerinnen ein – immer drohte eine Verlegung der Arbeitsplätze in ein billigeres Produktionsland. Diese Krise von Bretton Woods II besteht nicht erst seit der Wiederwahl von Donald Trump. Durch die Pandemie in den Hintergrund gerückt, existiert sie schon seit längerem. Mehr Globalisierung und Freihandel galten schon in den 2010er Jahren nicht mehr als das Rezept, um der Wirtschaft auf die Sprünge zu helfen: Wenn wir ein Dutzend Jahre zurückblenden, erinnern wir uns vielleicht an die düstere Diagnose der «secular stagnation». Die grundlegende These war, dass aus einer ganzen Reihe von Gründen die Investitionen und somit die Kreditnachfrage zu gering waren, um ein angemessenes Wirtschaftswachstum zu garantieren. Nur durch enorm grosse Staatsausgabenprogramme – ähnlich wie sie Keynes empfahl – sollte es gelingen, diese Wachstumsschwäche zu überwinden. Anders als Friedman und von Hayek hatte der Bannerträger dieser Analyse, Lawrence Summers, echten politischen Einfluss: Er war Berater der Obama-Regierung und Finanzminister unter Bill Clinton. Die immensen Staatsausgaben der Biden-Regierung bildeten nach der Pandemie ab, was Summers bereits nach der grossen Finanzkrise empfohlen hatte. Diese Staatsinterventionen haben den USA ein starkes Wirtschaftswachstum und ein Budgetdefizit von über 6% beschert, aber auch in Kombination mit den Erschütterungen der Pandemie eine hohe Inflation, die Trump schliesslich zur zweiten Präsidentschaft getragen hat.

Das neoliberale Paradigma, welches in den 1980er Jahren entscheidenden politischen Widerhall gewann und sich Mitte der 1990er Jahre global durchsetzte, Chimerica oder das darauf beruhende Geldsystem Bretton Woods II, sind also schon seit Jahren in einer mehr oder weniger offenen Krise. Ob der Neue Merkantilismus dereinst tatsächlich unsere Epoche charakterisieren wird, steht noch in den Sternen.

In der Vergangenheit haben solche Umbruchphasen (man denke z.B. an die 1970er Jahre) nicht zu einem einfach zu navigierenden Investitionsumfeld geführt. Es gibt aber gute Nachrichten hierzu. Erstens können wir uns, wenn wir unseren Standort erkannt haben, orientieren und den erfolgsversprechenden Weg wählen. Zweitens befinden wir uns immer noch und auch noch für geraume Zeit in einem globalisierten Wirtschaftssystem, dass nicht nur den USA, sondern auch China, Europa und grundsätzlich allen Akteuren Handlungsspielräume offenlässt.

Wo setzen wir nun andere Akzente als unsere Bankkolleginnen und - kollegen? Wir vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die vor einem Jahr erwartete wirtschaftliche Abschwächung kommen könnte, sobald die Biden’schen Impulsprogramme auslaufen, relativ gross ist. Die Hoffnung auf künstliche Intelligenz als Treiber für das ganze Wirtschaftssystem scheint kurzfristig überzogen. Die Teuerung und damit die Zinsen könnten also doch schneller fallen, als man heute voraussieht. Bedingung dafür ist ein schwacher US-Arbeitsmarkt und schwacher Konsum. Könnte nicht gerade Trump, der Sozialleistungen abbauen will, für eine erhöhte Sparneigung der Amerikaner sorgen? Die Schweizer Nationalbank befürchtet bereits eher Deflation als Inflation; dies könnte sich für 2025 als Fanal für die USA, Europa, China und die restliche Welt erweisen. Dann wären Anleihen, auch in der Schweiz, eine gute Anlage. Gold, Immobilien, und Aktien, die von europäischen oder chinesischen Impulsprogrammen profitieren könnten, wären ebenfalls vorzuziehen. Wir bleiben in unseren US-Positionen, die in unseren Strategien mit grossem Franken-Bias nie eine so prominente Position einnahmen, treu. Aber für ein Aktienübergewicht reicht uns dieser Ausblick nicht und die Alternativen Investments, die bei uns ein recht grosses Gewicht einnehmen mit ca. 10% (ohne Immobilien), werden wir defensiver und weniger konjunktursensitiv ausrichten.

Gespannt und aufmerksam blicken wir ins Jahr 2025 und hoffen, dass die grossen Wirtschaftsblöcke einen tragfähigen Modus für die kommende Generation finden werden. Wir werden uns mit Freude der Aufgabe widmen, auch unter diesen Umständen eine Wertsteigerung Ihrer Ersparnisse zu erwirken.

 


[1] What Trump’s Global Order Could Look Like; Greg Jensen, Co-CIO von Brigdewater Associates, 19.12.2024.


Bildquellen:  Titelbild: UNSPLASH x GETTY IMAGES

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